Kapitel III: Cor (3)

Jerune und der Knabe hatten sich abseits von Saark auf den Boden gesetzt. Während sie ein paar magere Vorräte verzehrten, die von toten Wachen stammten, versuchte Jerune, mehr über den Jungen heraus zu bekommen.
„Ich bin Jerune und komme aus 100 Höhlen. Darf ich deinen Namen erfahren?“
„Ich bin Cor,“ antwortete der Knabe mit ruhiger Stimme. Keine Angst, keine Unsicherheit.
„Und wie bist du in diesen Kerker geraten? Wurden deine Eltern von Sklavenjägern überfallen?“
Cor blickte kurz zur Seite. Dann sagte er: „Ich bin Pilzsammler. Ich war allein in den Flammenfels-Kavernen, als ich gefangen wurde. Was mit meinen Eltern ist, weiß ich nicht.“
„Mach dir keine Sorgen. Wir kommen bald hier raus. Wenn mein Freund ausgeschlafen hat, wird sich seine Laune bessern und wir fliehen gemeinsam. Er ist ein ziemlich geschickter Zauberer.“
„Das ist gut. Aber ist er wirklich dein Freund?“

Der Musterkundige wusste nicht, was er antworten sollte und schaute zu Boden. Cor war in der Tat kein gewöhnlicher Junge. Er hatte Jerunes Problem klar erkannt.
Konnte er seinem Gefährten wirklich vertrauen? Oder musste er damit rechnen, bei nächster Gelegenheit selber zum Opfer von Saarks Mentalmagie zu werden?

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Noch einfacher wäre es für den Aussenweltler, wenn er den jungen Cor mit Hilfe eines Zaubers dazu zwingen würde, hier in der Höhle zu bleiben. Was war dann zu tun? Den Knaben hinter sich her schleifen?
„Ich weiß es nicht,“ antwortete er schließlich. „Aber ohne meine Hilfe wird er es schwer haben, sich auf Donjon zurecht zu finden. Er ist ein Aussenweltler.“
„Und du bist ein Musterkundiger. Wenn er tatsächlich fliehen will, bist du der beste Verbündete, den er kriegen kann.“
Erstaunt schaute Jerune auf und blickte in Cors Augen. Blau und ungewöhnlich hell. Die Schwellung durch die Wunden war bereits am Abklingen.
„Für einen jungen Pilzsammler bist du ziemlich gescheit. Woher weißt du, dass ich Musterkundiger bin?“
„Ihr habt euch über die Tür unterhalten, bevor ihr mich entdeckt habt. Außerdem verraten dich deine Finger.“ Cor deutete auf das feine Muster, das Jerune währen ihrer Unterhaltung unbewusst in den Staub gemalt hatte.
„Du hast scharfe Augen. Wieso solltest du hier bezaubert werden?“
„Ich habe schon früh gelernt, mich zu verteidigen. Als die Sklavenjäger mich fangen wollten, mussten sie mit Blut bezahlen.“
Jerune musterte noch einmal den schlanken Jungen. Allein gegen eine Truppe krateinischer Sklavenjäger? Cor wirkte nicht gerade wie ein Gladiator.
„Das soll ich dir glauben? Nun komm, warum bist du wirklich hier?“
„Das ist die Wahrheit. Es ist, wie es ist. Und ich habe keinen Grund zu lügen,“ erwiderte der Junge und eine einzelne gerade Falte erschien auf seiner Stirn, genau zwischen seinen Augen.
Jerune winkte ab.
„Lassen wir es gut sein. Wir sollten uns ausruhen.“
„Noch nicht. Auch ich habe Fragen,“ entgegnete Cor mit entschiedener Stimme.
Wieder blickte der Musterkundige erstaunt auf den Knaben. Dann sagt er: „Natürlich. Was willst du wissen?“
„Was ist in der Gefängnishalle passiert? Wie seid ihr entkommen?“
„Es gab einen Unfall. Wir Gelehrten nennen es einen Musterorkan. So etwas kommt sehr selten vor. Auf jeden Fall hat es die Wachen in der Kugelhalle ziemlich durcheinander gewirbelt und es kam zu einem Aufstand.“
„Wie viele Wachen sind hinter euch her?“
„Schwer zu sagen. Am Ausgang gab es eine böse Schlacht. Viele tote Gefangene, aber auch eine Menge Krateiner, die gefallen sind. Wir konnten nur mit Hilfe von Saarks Magie raus kommen und…,“ Jerune zögerte, „… und weil er die Nerven behalten hat.“
„Ich verstehe,“ sagte Cor leise.

Ich verstehe.
Ein wenig später hatten sie sich auf dem nackten Steinfußboden zum Schlafen hin gelegt.
Ich verstehe. Lächerlich.
Wie konnte ein bartloser Jüngling verstehen, wie sich die Schuld anfühlte, die sich nach ihrer brutalen Flucht in Jerunes Brust aufgetürmt hatte?
Cors Benehmen passte nicht zu einem fünfzehnjährigen Jungen. Zu einem Pilzsammler aus der Einöde schon gar nicht. Der Musterkundige musste widerwillig zugeben, dass Saarks Verdacht nicht ganz unbegründet war. Cor war kein normaler Knabe…aber was war er dann?
Ein Gestaltwandler?
Und was würde morgen passieren? Was sollte er tun, wenn Saark seine Mentalmagie gegen Cor oder sogar gegen ihn selbst, Jerune, richten würde ?
Seine Gedanken begannen sich im Kreis zu drehen, doch trotz aller Erschöpfung wollte der Schlaf nicht kommen. Er wälzte sich von einer unbequemen Position in die nächste.
Die blutigen Bilder ihres Kampfes am Tor tauchten immer wieder in Jerunes Kopf auf.
Neben ihm hatte sich Cor zusammen gerollt wie eine Katze. Und atmete ruhig und regelmäßig.

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